Es geht weiter nach Tangalle...

Am 13.Tag unserer Reise geht es mit dem Bus nach Tangalle. Wir stehen also mit unseren riesigen Rucksäcken auf dem Rücken und den kleinen am Bauch am Straßenrand und warten auf unseren Bus. Normalerweise halten sie nicht an und man muss reinspringen, zum Glück aber sieht der Fahrer diesmal ein, dass wir zuviel Gepäck haben und dass der Bus viel zu voll ist um mit Gepäck reinzuspringen. Er hält gefühlte 20 Sekunden an damit wir unser Gepäck hinten im "Kofferraum" verstauen können und müssen dann doch noch in den Bus springen, weil er gleich wieder anfährt 😅😆! Auch wenn alles so gemütlich in Sri Lanka läuft, beim Busfahren und Einsteigen wird keine Zeit verschwendet: da geht alles schnell. Vor allem der Bus. Oh mein Gott, was für ein Erlebnis! Busfahren ist ein echtes Abenteuer hier! Es wird gerast, der Bus ist voll, einige müssen stehen. Es wackelt und ruckelt, ohne sich gut festzuhalten steht hier keiner lange.

Die Preise sind für unsere Verhältnisse geradezu lächerlich niedrig: ca. 70 Cent pro Person und das über Land. Das freut das Backpackerherz und den Geldbeutel! Wenn es in Deutschland nur so günstig wäre, wären die Busse auch so voll und die meisten würden auf das teure Autofahren verzichten!

Wir müssen in Matara in den nächsten Bus umsteigen. Das ist super einfach, viele Menschen wollen helfen. Die Fahrt ist sehr spannend, an jeder Haltestelle steigt ein Verkäufer ein und biete seine Waren an. Meist Essen oder Getränke, Schmuck kommt auch mal vor. Wir sind mitten unter der lokalen Bevölkerung: Schüler, die nach Hause wollen, Mütter mit Kindern, junge Menschen, die ihr Englisch an einem testen oder ältere Menschen, die einen einfach nur anlächeln. So viel Freundlichkeit habe ich selten erlebt. Ich fühle mich so willkommen und aufgenommen. Dirk ist begeistert, es läuft Reggae im Bus, die Aufnahme eines Konzerts. Das tröstet ihn ein wenig über die verhunzte Party hinweg. 

Ich genieße die Fahrt, aber auch hier dauert alles viel länger als angesagt. Wir kommen in der Mittagshitze am Busbahnhof in Tangalle an. Die Unterkunft ist nicht weit, wir entscheiden uns zu laufen. Ich orientiere mich auf meinem Handy, Gepäck vorne, Gepäck hinten und... falle natürlich erstmal ordentlich hin. Direkt vor einem Geschäft, gegenüber steht ein Polizist. Der will mich gleich ins Krankenhaus fahren. Ich bin ans Stolpern und Fallen durch meine Fußhebeschwäche gewöhnt. Ich brauche nur ein paar Minuten um mich zu sammeln, denn ein Sturz mit so viel Gepäck ist auch für mich neu. Dieses hat es mir unmöglich gemacht meinen Sturz aufzuhalten oder abzufangen aber meine Landung gepolstert. Glas halb voll oder halb leer, immer eine Frage der Perspektive!😆 Nur mein rechtes Knie hat eine blutige oberflächliche Wunde und mein Arm schmerzt vom Auffangen. Ich stehe also tapfer wieder auf, lächele zur Beruhigung aller (vor allem vom armen Dirk) und weiter geht's. Mein Fuß tut auch weh, ich habe ihn mir wohl wieder verstaucht. Immer der Linke, der mit der Hebeschwäche. Wir suchen vergebens nach der Unterkunft. Wir gehen, naja ich hinke, die ganze Straße hoch und runter. Irgendwann setze ich mich mit dem Gepäck  an den Straßenrand, die Schmerzen werden stärker, und Dirk zieht alleine los. Wir sind an einem Restaurant mit dem richtigen Namen vorbeigekommen, aber nun ja, es war ein Restaurant und auf Nachfrage bei der Besitzerin des Ladens vor dem Restaurant, hieß es, wir seien falsch.

Natürlich waren wir nicht falsch und nachdem wir mehrere Personen gefragt haben bringt uns ein Mann an genau dieses Restaurant. In dem Moment kommt ein Tuktuk mit der Besitzerin angefahren. Diese führt uns zu unserem Zimmer und will gleich meine Wunde versorgen. Ich bekomme heißes Wasser um sie zu säubern, es ist nämlich eine menge Staub und Dreck reingeraten. Zum Glück hatte der Apotheker in Mirissa uns bei meinem Sonnenbrand falsch verstanden und uns eine Wundsalbe statt einer Brandsalbe verkauft, so dass ich nach dem Säubern und Desinfizieren gleich die Salbe drauf tun kann.

Wir trinken noch einen Tee und ich falle mal wieder ins Bett. Die Hitze, das Laufen mit dem Gepäck, der Sturz, die Suche nach der Unterkunft, die Schmerzen durch den Sturz, all das hat mich völlig erledigt. Heute werden wir außer in der Unterkunft zu essen und das Treiben im Haus zu beobachten, nichts mehr unternehmen. Wir organisieren aber einen Scooter für den nächsten Tag und erfahren bei Rice und Curry die Geschichte unserer Gastgeberin.

Dieses Bild entstand am nächsten Tag beim Frühstück. Genau an diesem Tisch saßen wir am Vorabend mit der Besitzerin, als sie uns ihre Geschichte erzählt hat. Hier so weit wir sie verstanden haben:

Sie arbeitet beim Gericht und hat vier Kinder. Ihr Mann hat sie für eine andere Frau verlassen und sie musste alleine für die Kinder sorgen. Sie hat durch den Tsunami vieles verloren, unter anderem ihre beiden Schneidezähne. Sie wohnt mit ihrer Mutter zusammen, die dement sein soll. Ihre Kinder sind bereits ausgezogen, die Enkel sind aber oft zu Besuch. Sie hilft damit einer ihrer Töchter, die ebenfalls alleinerziehend ist, da der drogensüchtige Vater sich aus dem Staub gemacht hat. In ihrem Haus wohnen Fischer, ihnen gewährt sie Obdach.

Sie renoviert, nach und nach, alle Zimmer die durch den Tsunami beschädigt worden sind, um sie wieder vermieten zu können und mehr Geld zu haben, denn beim Gericht verdient sie nicht gut.

Ihr Geschichte ist erschreckend. Anfangs bin ich auch sehr mitgenommen. Sie erzählt es aber auf eine Art und Weise, die nicht so ganz glaubwürdig ist. Wir wissen nicht, was wir davon halten sollen, es ist schwierig. Wir wollen ihr nichts böses unterstellen und ich fühle mich furchtbar bei dem Gedanken, dass alles wahr sein könnte und noch mehr das wir es vielleicht fälschlicherweise anzweifeln.

Was ist mit uns passiert, dass wir so misstrauisch geworden sind? Sind wir schlechte Menschen?

Diese Begegnung wird mich sehr lange beschäftigen. Auch heute noch, zwei Monate später, kann ich die Situation schlecht einschätzen. Es gab soviele Details, die nicht gestimmt haben, ihre Art und der Versuch uns dauernd zu schmeicheln... dieses Gefühl manipuliert zu werden hallt noch nach. Beispielsweise lebt die Oma mit im Haus und ist definitiv nicht dement, höchstes ein wenig alterssenil. Vielleicht hat sie nur ein wenig übertrieben? Wer bin ich um darüber zu urteilen?

Wer mich kennt, weiß, wie schwer ich mich tue schlecht über Menschen zu denken und noch mehr, es auszusprechen. Ich fühle mich sehr unwohl beim Schreiben dieser Zeilen, aber es ist ein Teil dieser Reise, der mich sehr bewegt. 

Ich meine, es spielt ja letztendlich keine Rolle , ob ihr Geschichte wahr ist oder nicht. Es war eindeutig, dass sie eine gute Bewertungen von uns wollte und am liebsten eine Spende. Ich kann es ja auch verstehen, wenn sie uns Europäer ankommen sieht, die erzählen, sie wollen ein Jahr um die Welt reisen, dass sie denkt wir hätten viel Geld. Und im Vergleich zu ihr haben wir das auch. Und das ist, glaube ich, auch der Punkt, sie hat einen Nerv bei mir getroffen, das schlechte Gewissen, dass ich eh schon habe. Sie aber will das Mitgefühl und schlechte Gewissen ausnutzen. Und damit habe ich ein Problem.

Warum ich ein schlechtes Gewissen habe? Es ist ja nicht meine Schuld, dass ich in Europa geboren und so viel mehr "Glück" habe als sie. Dennoch ist es schwer mit anzusehen unter welchen Bedingungen sie leben und ich komme mir egoistisch und blöd vor, wenn ich Ihnen Hilfe und Geld verweigere. Es war eines der wenigen Male bisher auf der Reise, dass ich mehr gemerkt habe, wie neidisch die andere Person ist und Erwartungen an mich hegt. Ich verstehe das Bestreben nach mehr, gerade wenn die eigenen Gäste einem immer wieder vorleben, was möglich wäre.

Auf der Reise werden wir öfter viel Trinkgeld geben oder spenden, aber dann, wenn wir es wollen. Hier hatten wir das Gefühl (ungeschickt) manipuliert zu werden. Ich kann ihr keineswegs böse sein, aber ein bitterer Nachgeschmack bleibt.

Ich will helfen, aber von mir aus. Ich kann aber auch nicht jedem helfen und manche sind einfach dreist. Und meistens nicht die, die es WIRKLICH am meisten brauchen. Diese sind oftmals sogar in ihrem Stolz und in ihrer Ehre gekränkt. Die Welt steht manchmal Kopf und ich in dem Augenblick auch.

 

Ich habe das Gefühl in dieser Situation als Mensch auf die Probe gestellt worden zu sein und ich weiß nicht, ob ich bestanden habe. Ich weiß nicht, ob ihr nachvollziehen könnt, was ich meine. 

Aussicht von dem Balkon, wo wir immer gegessen haben und auf dem die Besitzerin uns ihre Geschichte erzählt hat.

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